Fremdenfreundlich

Am aufregendsten beim Kennenlernen von Menschen ist, wo sie für mich auf der Skala von ähnlich oder unähnlich zu mir stehen bzw. wie vertraut oder fremd sie mir sind.

Daraus entsteht für das Netzwerk eine spannende Frage, wie ähnlich oder wie unähnlich verglichen mit mir Netzwerkpartner sein dürfen oder sogar sein müssen. Ob sie mir dann vertraut vorkommen oder fremd, ist die Frage, wie ich die (Un-) Ähnlichkeit beurteile.

Wenn sie alle so wären wie ich – also im Extremfall mein Spiegelbild – wäre es sehr leicht, in Kontakt zu kommen, aber bestimmt auch fĂĽrchterlich langweilig. Ein ganzer Raum voller identischer Clone –ich glaube, da wĂĽrde ich am liebsten nicht hingehen.

Wären sie ganz unterschiedlich zu mir und den anderen im Netzwerk, wäre das auch wieder nicht so toll, denn dann hätte ich keinen Punkt zum Anknüpfen. Vor allem am Start tut man sich dann vermutlich sehr schwer und es erfordert viel Zeit und Mühe, eine gemeinsame Basis zu erarbeiten.

Also sollte es irgendwie dazwischen sein. Irgendwie war das zu ahnen, oder?

Fragen wir also einmal anders. Wie viele Ähnlichkeiten, also wie viele Wiederholungen, nehme ich in meinem Netzwerk in Kauf, wie viele Unähnlichkeit wage ich mich auszusetzen und gestatte ich den anderen?

Genau da wird es spannend, zu erleben, was sich entwickelt – und wie die Netzwerkpartner sich in dieser Situation gegenseitig verändern, um so eine neue Gemeinsamkeit entstehen zu lassen.

Was helfen mir diese Überlegungen? Gleichheit reduziert die Möglichkeiten, Unterschiedlichkeit erweitert diese. Aber Sie erfordert Arbeit und Mühe, man bekommt die gemeinsame Basis nicht geschenkt.

Wir sollten es wagen, fremdenfreundlich zu sein 🙂

Im Netzwerk trägt keiner und damit jeder die Verantwortung

Was hat Verantwortung mit Netzwerken zu tun? Fragen wir, was Kommunikation mit Verantwortung zu tun hat, kommen wir vielleicht zu einer Antwort. Ich habe die Verantwortung für das, was ich sage: Meine Halbwahrheiten, Dreivierteltäuschungen und ganze Lügen sind unverantwortliches Handeln. Das ist klar und wird hier nicht weiter diskutiert, sondern als Verständnis vorausgesetzt.

Natürlich habe ich auch eine Verantwortung dafür, was der angesprochene Hörer, also mein Gesprächspartner, aus dem Gesagten macht, wie er es verstehen kann. Ohne in die Details des Gedankens zu gehen, lässt sich sagen, ich trage die Verantwortung dafür, meine Botschaft so zu formulieren, dass der Empfänger sie verstehen kann. Voraussetzung ist, dass ich mir ein Bild vom Gegenüber mache, welches für mich ausreichend deutlich ist, um meine Botschaft so zu formulieren, dass verstanden werden kann, was ich sagen will.

Wichtig bei dem Gedanken ist zweierlei: einen bestimmten Adressaten (oder eine Gruppe) vor mir zu wissen und eine ausreichend gutes Kenntnis meines Adressaten zu besitzen, so dass ich eine Botschaft formulieren und dafĂĽr die Verantwortung ĂĽbernehmen kann.

Diese Last der Verantwortung lege ich mir dann auf, wenn ich Sie anspreche. Grundsätzlich steht diese Arbeit immer an, wenn ich mit meinem Gesprächspartner rede. Natürlich wird die Last der Verantwortung durch Häufigkeit des Austausches und verbesserte Kenntnis des anderen leichter.

Sie haben es natürlich längst gemerkt: wir sprechen von Vertrauen.

Je tiefer und ausgeprägter das Vertrauen in die andere Person ist, desto mehr kann sie von den Aufgaben der Verantwortung übernehmen. Vertrauen entlastet von der aktuellen Arbeit, der Verantwortung für das Verstehen meines Gesprächspartners gerecht zu werden. In dem aktuell zur Verfügung stehenden Umfang des Vertrauens ist quasi die Quintessenz der bisher im Kontakt und in den Gesprächen der Partner der geleisteten Verantwortung als Erfahrung enthalten.

In einem Netzwerk, wenn wir es als einen kontinuierlichen Austausch und ein ständiges Gespräch verstehen, wird Vertrauen leichter aktualisiert und Verantwortung leichter getragen. Je besser ein Netzwerk funktioniert, also die Erwartungen der Netzwerkpartner zu ihrem Aufwand und den erreichten Zielen passen, desto wirkungsvoller und einfacher zeigt sich die Funktion des Vertrauens. Funktioniert das Netzwerk unter optimalen Bedingungen, also zum Beispiel in einem gut funktionierenden Team, wird die Vertrauenshaltung so selbstverständlich, dass man schon gar nicht mehr vom Tragen einer Verantwortung reden kann.

Jetzt sind wir mit diesem Gedanken an einem Punkt angelangt, an dem sich die Dinge völlig umkehren: wenn niemand in einem gut funktionierenden Team-Netzwerk die Last der Verantwortung fĂĽr das Verständnis des Netzwerkpartners mehr tragen muss, weil diese Aufgabe vom Vertrauen ĂĽbernommen wird, ist natĂĽrlich jeder im Netzwerk dafĂĽr verantwortlich, dass Vertrauen gelebt werden kann, sich also ständig aktualisiert. Es gilt, dieses Vertrauen als Trägermedium zu bewahren und alle leisten dies gemeinsam. Die Verantwortung ist nicht in einem „Chef“ zentriert, sondern jeder trägt die Verantwortung zu gleichen Teilen.

Wir sind unser Netzwerk

Wir nehmen noch einmal den Gedanken des Neurobiologen Gerald Hüther auf, demzufolge wir mit den Gehirnen anderer Menschen denken. Dieses schöne Bild erscheint uns am Ende eines abgeschlossenen Prozesses. Das Ende hat eine Vorgeschichte, nämlich das Werden und Gelingen. Um mit den Gehirnen anderer Menschen denken zu können, muss ein Zugang zu ihnen geschaffen werden, durch den wir überhaupt erst die Möglichkeit und Gelegenheit finden, dieses Gehirn mit unseren Gedanken, Ideen, Wünschen usw. zu beschäftigen.

Wenn ich mit Ihrem Gehirn denken will – ist das etwa eine unangenehme Vorstellung, weil wir uns noch gar nicht persönlich kennen? – muss ich eine Beziehung zu Ihnen haben, sozusagen einen Anker, meinen Anker in ihrem Denken und Fühlen, um bei Ihnen sein zu können. Mit Menschen, die wir nicht kennen, oder nur sehr wenig, haben wir keine Beziehung oder nur eine kleine. Je mehr Sie als mein Beziehungspartner Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit mir hatten, je mehr sie über mich wissen, je mehr Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte wir hatten, desto stärker bin ich in Ihrem Denken vertreten. Man spricht dann landläufig davon, bei der anderen Person einen Eindruck hinterlassen zu haben.

Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass unsere Beziehung umso leichter die Möglichkeit mit Ihrem Gehirn zu denken, bietet, je positiver und sympathischer Sie mich einschätzen.

Natürlich haben auch viele andere Menschen bei mir Anker und Eindrücke hinterlassen, mit vielen stehe ich im ständigen Austausch, d.h. ich öffne mein Gehirn für das Denken anderer Menschen. Ganz vorn in der Reihe meiner Denkpartner stehen die Menschen aus meinem Netzwerk. Viele von Ihnen denken oft und gern mit meinem Gehirn – was ich an ihnen schätze. Zu unserem Glück sind unsere Gehirn sehr flexibel; es bleibt noch genügend an Kapazität und Potenzial übrig für meine eigenen Gedanken. Die wiederum beschäftigen sich viel mit meinen Netzwerkpartnern und ihren Themen, weil es auch meine Themen sind und ich zu den Netzwerkpartnern Vertrauen habe. So entstehen viele lebhafte Beziehungen und Wechselwirkungen, die mir erlauben, die Menschen meines Netzwerks nicht nur äußerlich zu treffen und mit ihnen zu reden, sondern sie auch gleichsam mit mir zu tragen und mich mit ihnen denkend auseinander zu setzen.

Neben vielen anderem, was ich bin, bin ich also auch mein Netzwerk.