Im Netzwerk trägt keiner und damit jeder die Verantwortung

Was hat Verantwortung mit Netzwerken zu tun? Fragen wir, was Kommunikation mit Verantwortung zu tun hat, kommen wir vielleicht zu einer Antwort. Ich habe die Verantwortung für das, was ich sage: Meine Halbwahrheiten, Dreivierteltäuschungen und ganze Lügen sind unverantwortliches Handeln. Das ist klar und wird hier nicht weiter diskutiert, sondern als Verständnis vorausgesetzt.

Natürlich habe ich auch eine Verantwortung dafür, was der angesprochene Hörer, also mein Gesprächspartner, aus dem Gesagten macht, wie er es verstehen kann. Ohne in die Details des Gedankens zu gehen, lässt sich sagen, ich trage die Verantwortung dafür, meine Botschaft so zu formulieren, dass der Empfänger sie verstehen kann. Voraussetzung ist, dass ich mir ein Bild vom Gegenüber mache, welches für mich ausreichend deutlich ist, um meine Botschaft so zu formulieren, dass verstanden werden kann, was ich sagen will.

Wichtig bei dem Gedanken ist zweierlei: einen bestimmten Adressaten (oder eine Gruppe) vor mir zu wissen und eine ausreichend gutes Kenntnis meines Adressaten zu besitzen, so dass ich eine Botschaft formulieren und dafĂĽr die Verantwortung ĂĽbernehmen kann.

Diese Last der Verantwortung lege ich mir dann auf, wenn ich Sie anspreche. Grundsätzlich steht diese Arbeit immer an, wenn ich mit meinem Gesprächspartner rede. Natürlich wird die Last der Verantwortung durch Häufigkeit des Austausches und verbesserte Kenntnis des anderen leichter.

Sie haben es natürlich längst gemerkt: wir sprechen von Vertrauen.

Je tiefer und ausgeprägter das Vertrauen in die andere Person ist, desto mehr kann sie von den Aufgaben der Verantwortung übernehmen. Vertrauen entlastet von der aktuellen Arbeit, der Verantwortung für das Verstehen meines Gesprächspartners gerecht zu werden. In dem aktuell zur Verfügung stehenden Umfang des Vertrauens ist quasi die Quintessenz der bisher im Kontakt und in den Gesprächen der Partner der geleisteten Verantwortung als Erfahrung enthalten.

In einem Netzwerk, wenn wir es als einen kontinuierlichen Austausch und ein ständiges Gespräch verstehen, wird Vertrauen leichter aktualisiert und Verantwortung leichter getragen. Je besser ein Netzwerk funktioniert, also die Erwartungen der Netzwerkpartner zu ihrem Aufwand und den erreichten Zielen passen, desto wirkungsvoller und einfacher zeigt sich die Funktion des Vertrauens. Funktioniert das Netzwerk unter optimalen Bedingungen, also zum Beispiel in einem gut funktionierenden Team, wird die Vertrauenshaltung so selbstverständlich, dass man schon gar nicht mehr vom Tragen einer Verantwortung reden kann.

Jetzt sind wir mit diesem Gedanken an einem Punkt angelangt, an dem sich die Dinge völlig umkehren: wenn niemand in einem gut funktionierenden Team-Netzwerk die Last der Verantwortung fĂĽr das Verständnis des Netzwerkpartners mehr tragen muss, weil diese Aufgabe vom Vertrauen ĂĽbernommen wird, ist natĂĽrlich jeder im Netzwerk dafĂĽr verantwortlich, dass Vertrauen gelebt werden kann, sich also ständig aktualisiert. Es gilt, dieses Vertrauen als Trägermedium zu bewahren und alle leisten dies gemeinsam. Die Verantwortung ist nicht in einem „Chef“ zentriert, sondern jeder trägt die Verantwortung zu gleichen Teilen.

SNKN – Netzwerkbeziehungen: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft

Persönliche Kontaktnetzwerke beobachten und erleben wir im Austausch zwischen den Beteiligten. Unabhängig davon, was ausgetauscht wird (z.B. Informationen, Handlungen oder Objekte), immer wenn wir über den Austausch als Funktion des Kontaktnetzwerkes Auskunft geben sollen, zählen allein seine Häufigkeit und die Qualität des Ausgetauschten. Der Gradmesser der Qualität des Ausgetauschten ist der Wert, den die Partner dem Ausgetauschten geben. Es muss kein gleicher Wert sein, tatsächlich kann von beiden Partnern der Wert des Ausgetauschten krass unterschiedlich betrachtet werden. Wichtig ist allein, dass die Wertmaßstäbe sich auf einen gemeinsamen Maßstab beziehen lassen. Der gemeinsame Maßstab ist die Qualität der Beziehung.

Schauen wir uns ein Beispiel an:

Ein Unternehmer A hat in einer ihm fremden Stadt, sagen wir in Hamburg, einen guten Geschäftsabschluss getätigt und möchte den Vertragspartner B nun zum Essen einladen, um gemeinsam mit ihm den Abschluss zu feiern. Er weiß, dass der Vertragspartner B Vegetarier ist und möchte deswegen ein gutes vegetarisches Restaurant wählen. Leider kennt er sich in der Hamburger Restaurantszene nicht aus; erst recht nicht bei vegetarischen Lokalen. Die für ihn zugänglichen allgemeinen Informationen über Restaurants in Hamburg – Reklame und Internetbewertungen – sind für ihn nicht verlässlich genug. Unmöglich ist es auch, alle in Frage kommenden Restaurants persönlich zu testen. Zum Glück kann er einen langjährigen Netzwerkpartner C, der in der Nähe von Hamburg lebt und selbst Vegetarier ist, nach einem guten Lokal fragen. In einer Mail erklärt er sein Anliegen und bekommt als Antwort drei Lokale in ihren Eigenarten kurz beschrieben – so dass einem schönen Abend mit gutem Essen nichts mehr im Wege steht.

Wir haben es hier mit einer typischen Netzwerksituation zu tun: zwischen zwei langjährigen Netzwerkpartnern aktualisiert sich die Netzwerkbeziehung in einer Frage und der erwarteten Antwort darauf. Es wurden Informationen ausgetauscht.

Für den Unternehmer A ist sind die Informationen von hohem Wert, immerhin will er in dem Restaurant einen Geschäftsabschluss feiern und das richtige Ambiente, zusammen mit der guten Küche, hat dabei einen hohen Stellenwert. In der Wahl des Restaurants drückt sich erkennbar eine hohe Wertschätzung für den Geschäftspartner B und für den neuen Geschäftsabschluss aus. Die Information der Empfehlungen sind also von hohem Wert für die Beziehung zwischen dem Unternehmer A und dem Geschäftspartner B.

Zugleich haben die Informationen zum richtigen Lokal einen hohen Beschaffungswert für Unternehmer A. Der Beschaffungswert entspricht dem fiktiv bleibenden Aufwand, den A betreiben müsste, sich die gleiche Information zu beschaffen, wie er sie von seinem Netzwerkpartner C erhielt. Deren Wert würde dennoch weit niedriger sein als die gleiche Information von C, weil A nun nicht die Gewissheit über den Wert der Information hätte, die er durch das Vertrauen stützt, das er in der Information von C annimmt.

Das Vertrauen setzt sich aus drei Faktoren zusammen:

Unternehmer A setzt darauf, dass Netzwerkpartner C die Beziehung fortsetzen will und deswegen in dieser aktuellen Situation zum Austausch bereit ist.

Der zweite Faktor ist die sachliche Expertise, also ob Netzwerkpartner C in dieser Situation als sachlich zuverlässiger Antwortgeber eingeschätzt werden kann. Dazu besteht Anlass: ein Vegetarier in der Nähe von Hamburg kennt wahrscheinlich in der nahen Stadt die vegetarische Szene besser als ein Fleischesser aus einem anderen und weit entfernt liegenden Ort. Obwohl Unternehmen A in diesem Kalkül auf eventuell völlig unberechenbare Faktoren treffen könnte (z.B. Netzwerkpartner C besucht prinzipiell nie Restaurants), vertraut er auf die Informationsübermittlung und deren Wert für ihn, weil sich dieser Vertrauensaspekt aus dem dritten Faktor ergibt.

Netzwerkpartner C war immer verlässlich. In der Vergangenheit waren die Informationen von C zuverlässig, dann werden sie es auch dieses Mal sein. Soweit der sachliche Aspekt.

Dazu kommt ein Kalkül, in dem Unternehmer A den Beschaffungsaufwand der Information für Netzwerkpartner C einschätzt. Als ehrlicher Netzwerkpartner wird er den Beschaffungsaufwand für niedriger halten als den Beziehungsgewinn, auf den Netzwerkpartner C für das Finden und die Weitergabe der Information nun vertrauen kann. In unserem Beispiel muss Netzwerkpartner C vielleicht nur die Erinnerung an ein paar vergangene Restaurantbesuche abfragen, um eine Empfehlung aussprechen zu können. Das wird A wissen oder annehmen und deswegen den Beschaffungsaufwand für C nicht als groß einschätzen. Jedenfalls wird der für kleiner gehalten als der Beziehungsgewinn, auf den Netzwerkpartner C nach der Weitergabe der Information vertrauen wird.

Im nächsten Gedankenschritt ergibt sich die Frage, woraus A das Vertrauen schöpfen kann, Netzwerkpartner C werde ihm die Frage in seinem erhofften (positiven) Sinne beantworten. Die erhoffte Antwort hat zwei Ebenen: auf der sachlichen Ebene erhofft er sich Restaurantnennungen, die seinen Erwartungen entsprechen. Darunter liegt aber die Beziehungsebene der Antwort. Hier erhofft sich Unternehmer A eine Antwort, die Beziehung nicht beschädigt. Das ist die Mindestanforderung an eine positive Antwort. Mehr noch aber wird er hoffen, dass die Antwort zur Beziehungsentwicklung betragen wird. Auf der Beziehungsebene darf die Frage nicht scheitern, weil sonst die Beziehung eine Beeinträchtigung erfährt. Auf der sachlichen Ebene ist ein Scheitern der Frage ohne negative Folgen für die Beziehung möglich, wenn z.B. Netzwerkpartner C seine Unkenntnis aus fehlender Erfahrung zugibt und sie an Unternehmer A kommuniziert.

Es sind zwei Reaktionen von Netzwerkpartner C auf die Frage denkbar, von denen eine negative Wirkung auf die Beziehung ausgeht: die Frage nicht anzunehmen und diese Ablehnung nicht auf der Beziehungsebene abzusichern – also ohne Beziehungskommentar die Antwort zu verweigern. Oder die Antwort verursacht für Netzwerkpartner C derart hohen Aufwand oder sonstige Belastungen, dass er die Frage von Unternehmer A als Zumutung und Beeinträchtigung der Beziehung auffasst.

Obwohl es keinen Zwang gibt, der Netzwerkpartner C zur Antwort nötigen könnte, antwortet er und kann das aus einer Reihe von Gründen tun: zunächst einmal weil er nach dem Sachstand in der Lage ist, eine Antwort zu geben – er kennt aus eigenem Erleben ein paar vegetarische Lokale in Hamburg und kann sich eine begründete Meinung bilden, welches das Beste ist. Indem ihm vom Unternehmer A die Frage nach dem Restaurant gestellt wird, erfährt Netzwerkpartner C eine Wertschätzung, die ihm zeigt, auf Augenhöhe mit Unternehmer A zu sein, ihm wichtig zu sein und notwendig, denn durch seine Information wird er als Person quasi ein Baustein des geschäftlichen Gelingens von Unternehmer A. Auf der Ebene der Beziehung zwischen beiden, dreht er die Wertschätzung in der Frage von A um in eine Wertschätzung des anderen durch seine Antwort.

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf das Verhältnis von Geschäftspartner B und Restaurantkenner C. Bevor A mit seiner Frage sich an Netzwerkpartner C wandte, wussten B und C vielleicht noch gar nicht voneinander. Nach dem Austausch von Frage und Antwort haben sie die ersten Ansätze einer Beziehung, in der Unternehmer A die Vermittlerrolle hat. Beide haben also eine indirekte Beziehung. Die Wahrscheinlichkeit, daraus eine direkte zu machen, indem Unternehmer A die beiden zusammenbringt, ist jetzt natürlich gestiegen. Es haben also alle drei Beteiligten etwas davon: außer den Ausdruck wechselseitiger Wertschätzung und einen schönen Abend in einem guten vegetarischen noch einen Gewinn für ihre jeweiligen Netzwerke.

Der Mechanismus hinter diesen Überlegungen, Fragen, Antworten und Handlungen ist das Vertrauen zwischen den Beteiligten – sie haben eine vertrauensvolle Beziehung. Das Maß und der Umfang des wechselseitigen Vertrauens bestimmen die Qualität der Beziehung.

Das gerade im Moment gefühlte Vertrauen bestimmt die innere Haltung, mit der die Handlungen im Netzwerk vollzogen werden. Die Vertrauensäußerung im aktuellen Fühlen, Denken und Handeln ist die Summe der Vertrauenserfahrungen, die mit der anderen Person gemacht wurden. In diesem Moment bestätigt sich die gesamte bisherige Vertrauensentwicklung. Die Glaubwürdigkeit des aktuellen Netzwerkhandelns wird stillschweigend durch die Voraussetzung einer Vertrauensentwicklung begründet: wir nehmen an, dass Erfahrungen, die das aktuelle Vertrauen rechtfertigen, wirklich gemacht wurden und nicht einfach bloß da oder gar nur fiktiv sind. Also braucht das aktuelle Handeln im Netzwerk die Vergangenheit als Bedingung, einen Erfahrungsschatz parat zu stellen und zugleich als Legitimation.

Dabei ist das aktuelle Handeln ein höchst flüchtiges Phänomen: nicht mehr Zukunft und noch nicht Vergangenheit, muss es an das eine anknüpfen können und auf das andere vorbereiten helfen. Das aktuelle Handeln muss dem vergangenen gerecht werden – es bestätigen und zugleich eine Möglichkeit der Weiterentwicklung der Erfahrungen bieten. Das aktuelle Handeln muss zugleich zukünftiges Handeln ermöglichen, weil es eine Bestätigung des Vertrauensmechanismus ist. Vertrauen hat immer einen Überschuss an Möglichkeiten über die Notwendigkeiten der aktuellen Situation hinaus. Der Überschuss weist in eine Zukunft. Die ist zwar generell offen, enthält aber jetzt bereits die Stellen, an der die Vertrauenserfahrungen der Vergangenheit ansetzen können.