Wir sind unser Netzwerk
Wir nehmen noch einmal den Gedanken des Neurobiologen Gerald Hüther auf, demzufolge wir mit den Gehirnen anderer Menschen denken. Dieses schöne Bild erscheint uns am Ende eines abgeschlossenen Prozesses. Das Ende hat eine Vorgeschichte, nämlich das Werden und Gelingen. Um mit den Gehirnen anderer Menschen denken zu können, muss ein Zugang zu ihnen geschaffen werden, durch den wir überhaupt erst die Möglichkeit und Gelegenheit finden, dieses Gehirn mit unseren Gedanken, Ideen, Wünschen usw. zu beschäftigen.
Wenn ich mit Ihrem Gehirn denken will – ist das etwa eine unangenehme Vorstellung, weil wir uns noch gar nicht persönlich kennen? – muss ich eine Beziehung zu Ihnen haben, sozusagen einen Anker, meinen Anker in ihrem Denken und Fühlen, um bei Ihnen sein zu können. Mit Menschen, die wir nicht kennen, oder nur sehr wenig, haben wir keine Beziehung oder nur eine kleine. Je mehr Sie als mein Beziehungspartner Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit mir hatten, je mehr sie über mich wissen, je mehr Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte wir hatten, desto stärker bin ich in Ihrem Denken vertreten. Man spricht dann landläufig davon, bei der anderen Person einen Eindruck hinterlassen zu haben.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass unsere Beziehung umso leichter die Möglichkeit mit Ihrem Gehirn zu denken, bietet, je positiver und sympathischer Sie mich einschätzen.
Natürlich haben auch viele andere Menschen bei mir Anker und Eindrücke hinterlassen, mit vielen stehe ich im ständigen Austausch, d.h. ich öffne mein Gehirn für das Denken anderer Menschen. Ganz vorn in der Reihe meiner Denkpartner stehen die Menschen aus meinem Netzwerk. Viele von Ihnen denken oft und gern mit meinem Gehirn – was ich an ihnen schätze. Zu unserem Glück sind unsere Gehirn sehr flexibel; es bleibt noch genügend an Kapazität und Potenzial übrig für meine eigenen Gedanken. Die wiederum beschäftigen sich viel mit meinen Netzwerkpartnern und ihren Themen, weil es auch meine Themen sind und ich zu den Netzwerkpartnern Vertrauen habe. So entstehen viele lebhafte Beziehungen und Wechselwirkungen, die mir erlauben, die Menschen meines Netzwerks nicht nur äußerlich zu treffen und mit ihnen zu reden, sondern sie auch gleichsam mit mir zu tragen und mich mit ihnen denkend auseinander zu setzen.
Neben vielen anderem, was ich bin, bin ich also auch mein Netzwerk.